Sieben Monate lang geht Ulrike Hansmann davon aus, dass sie ein gesundes Baby bekommt. Doch dann bekommt sie eine weitreichende Diagnose. Ihr Sohn hat Trisomie 21, besser bekannt als Down-Syndrom. Die Hansmanns aus Unterhausen entscheiden sich gegen eine Abtreibung – und für Söhnchen Thomas. Diese Entscheidung war die Beste ihres Lebens.

Noch heute erinnert sich Ulrike Hansmann ganz genau an den Tag, der ihr Leben kurzzeitig auf den Kopf stellen sollte. „Ich war im siebten Monat schwanger, als meine Frauenärztin mich zum dritten Mal zur Feindiagnostik überwiesen hat, weil mein Baby zum damaligen Zeitpunkt recht klein und zierlich war“, erzählt die 38-Jährige. Der Arzt, der den Feinultraschall durchführt, ist während der Untersuchung hochkonzentriert und still. „Erst nach der Untersuchung hat er uns erklärt, dass der Oberschenkel unseres Babys im Verhältnis zum restlichen Körper etwas kurz ist. Das könne ein Hinweis auf das Downsyndrom sein“, erinnert sich Ulrike Hansmann.

Gemeinsam mit ihrem Mann entscheidet sich Ulrike Hansmann für den sogenannten NIPT-Test, einen Bluttest, mit dem sich in der Schwangerschaft kindliches Erbgut auf die Trisomien 13, 18 und 21 untersuchen lässt. „Zwei Wochen später haben wir die Info bekommen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass unser Baby mit dem Downsyndrom zur Welt kommt, sehr hoch ist“, erzählt Ulrike Hansmann. „Für uns ist kurzzeitig eine Welt zusammengebrochen, denn naiverweise geht man in der ersten Schwangerschaft ja davon aus, dass das Kind gesund ist. Ich war drei Tage lang wie in einem Tunnel, habe mir die schlimmsten Sachen ausgemalt, hatte zwischenzeitlich auch sehr dunkle Gedanken. Zwei Tage lang habe ich meinen Bauch nicht mehr berührt, ich habe einfach kurz die Connection zu meinem Sohn verloren“, so die Mutter. „Meinem Mann ging es ähnlich. Er war zwar stark für mich, aber auch ihm hat man es angemerkt.“ Drei Tage lang verschanzen sich die Hansmanns, lassen niemanden an sich ran, versuchen das Unbegreifliche zu begreifen. „Plötzlich stehen Fragen im Raum wie etwa: „Kann ich jemals wieder arbeiten gehen oder habe ich einen Pflegefall zuhause, der mich 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche braucht?“ Bis dato hatten die Hansmanns noch keine Berührungspunkte zu Menschen mit Downsyndrom. „Über unseren Köpfen schwebte ein großes Fragezeichen. Was bedeutet es eigentlich, ein Kind mit Downsyndrom zu haben? Wird unser Kind jemals einen Beruf lernen oder Auto fahren können?“ Stück für Stück informieren sich die werdenden Eltern, nehmen Kontakt zu anderen betroffenen Familien auf und schöpfen Hoffnung. „Wir haben nicht mit unserem Schicksal gehadert, sondern nach vorne geschaut. Wir haben uns intensiv mit der Diagnose auseinandergesetzt und durch Gespräche mit anderen betroffenen Familien gelernt, dass auch Kinder mit Down-Syndrom ein weitestgehend normales Leben leben können.“ Dieses Wissen gibt den Hansmanns Kraft, Ulrike Hansmann schafft es sogar, die restliche Schwangerschaft zu genießen. Bis zur 35. Schwangerschaftswoche verläuft alles fast normal. „Thomas war immer sehr aktiv in meinem Bauch. Eines Tages war er plötzlich sehr ruhig, das kam mir komisch vor. Wir sind sofort ins Krankenhaus gefahren.“ Schnell ist klar, dass die Versorgung über die Nabelschnur nicht mehr optimal ist. Die Ärzte entscheiden, Thomas zu holen. Mit 1.900 Gramm und einer Größe von 45 cm erblickt er das Licht der Welt – und verzaubert seine Eltern vom ersten Augenblick an. „Wir hatten keine Angst vor dem Kennenlernen mit Thomas, wir haben uns unbändig auf ihn gefreut“, so Ulrike Hansmann, die rückblickend sehr froh ist, dass sie die Diagnose erst im siebten Monat, aber dennoch vor der Geburt bekommen hat. „Ich weiß nicht, ob es nicht doch einen Unterschied gemacht hätte, wenn wir in den ersten drei Monaten von Thomas´ Besonderheit erfahren hätten“, gibt sie offen und ehrlich zu. Neun von zehn Frauen, die die Diagnose Trisomie 21 erhalten, entscheiden sich in der Schwangerschaft auch jenseits der zwölften Woche für einen Abbruch. Rechtlich gesehen ist diese Entscheidung in Ordnung. „Ich bin sehr froh, dass wir es vor der Geburt erfahren haben. Ich wollte nicht, dass eine der ersten Fragen nach der Geburt die ist, ob er das Downsyndrom hat oder nicht. Wir konnten unseren Sohn vom ersten Tag an annehmen, als das was er ist: Ein ganz besonderes Kind.“

Zwei Wochen lang bleibt Thomas in der Kinderklinik in Neuburg. Als er seine Temperatur eigenständig halten kann, wird er mit Magensonde entlassen. Schon in der Klinik erhalten die Eltern viele Unterstützungsangebote. Die gemeinnützige Organisation ELISA Familiennachsorge übernimmt schlussendlich die Nachsorge. Das heißt, eine ausgebildete Krankenschwester kommt zu den Hansmanns nach Hause, unterstützt, berät, tröstet und leitet die Eltern bei der Pflege ihres Kindes an. „Bei uns steht die gesamte Familie im Fokus. Gemeinsam mit unseren Kinderkrankenschwestern und Sozialpädagogen entsteht in enger Zusammenarbeit mit Therapeuten und Ärzten ein Netzwerk aus Helfern, damit die Familie möglichst schnell alleine mit der veränderten Situation zurechtkommt“, erklärt Simone Haftel, die die sozialmedizinische Nachsorge bei ELISA Familiennachsorge leitet.

Heute ist Thomas 16 Monate alt. Er besucht als Integrationskind die Kinderkrippe. „Thomas ist in einer Gruppe mit insgesamt elf Kindern – und er liebt es. Die Kinder dort lernen von und mit ihm, aber auch umgekehrt.“ Sprechen kann Thomas noch nicht, aber er lautiert und wird weiterhin spielerisch logopädisch gefördert. Einmal pro Woche geht Thomas zum Physiotherapeuten, zuhause üben seine Eltern fleißig mit ihm. Mit Erfolg: Thomas krabbelt wie ein Weltmeister durch die Gegend. „Lange wird es vermutlich nicht mehr dauern, bis er laufen kann. Aber: Das ist vermutlich das, was mich Thomas am meisten gelehrt hat: Man braucht Geduld.“

Die Hansmanns haben ihre Entscheidung, Thomas zu bekommen, übrigens nie bereut. „Hätten wir von Anfang an gewusst, dass wir zu 95 Prozent ein normales Leben führen können, hätten wir uns viele Tränen sicher ersparen können“, so Familie Hansmann, der es ganz wichtig ist, dass über das Downsyndrom aufgeklärt wird. Jedes Jahr findet am 21. März der Welt-Downsyndrom-Tag statt, heuer lautet das Motto „Schluss mit den Vorurteilen“. Die internationale Dachorganisation Down Syndrome International (DSi) ruft dazu auf, sich an diesem Tag mit stereotypen Vorstellungen und Vorurteilen über Menschen mit Down-Syndrom auseinanderzusetzen.