Herr Dr. Vilser, was macht die Forschung an Long- bzw. Post-Covid so schwierig?
Es ist immer einfacher, Forschung zu betreiben, wenn man klare Kriterien hat, anhand derer man die Patienten identifizieren kann. Zum Beispiel wäre es einfach, alle Patienten zu untersuchen, denen ein linker Arm fehlt. Im Gegensatz dazu ist Long- bzw. Post-Covid eine komplexe Erkrankung mit einer Vielzahl an Symptomen. Es wurden über 200 Symptome beschrieben, die mit Long- oder Post-Covid in Verbindung gebracht werden. Diese Symptome sind jedoch nicht spezifisch für Long- oder Post-Covid und können genauso gut bei anderen Erkrankungen auftreten (wie Depressionen, psychosomatischen Erkrankungen, Leukämie usw.). Diese Tatsache erschwert die Forschung auf diesem Gebiet erheblich.
Würden Sie dennoch sagen, dass Sie auf einem guten Weg sind, was die Long- bzw. Post-Covid-Forschung in Deutschland angeht?
Im Bereich der Long- bzw. Post-Covid-Forschung wurde viel angeschoben und ich glaube, dass wir in den letzten Jahren mehr Fortschritte gemacht haben als in den Jahrzehnten zuvor. Es ist für mich als Mediziner und auch für meine Patienten etwas frustrierend, dass bisher weder ein zuverlässiger Diagnoseparameter für Long- oder Post-Covid im Blut gefunden wurde, noch sich eine effektive Behandlungsmöglichkeit abzeichnet. Dies entspricht jedoch dem üblichen Verlauf medizinischer Forschung und ist daher leider nicht ungewöhnlich.
Wie hoch ist Ihrer Meinung nach der Leidensdruck von Long- bzw. Post-Covid-Erkrankten und deren Familien?
Es gibt keine andere Erkrankung, die ich kennengelernt habe, wo das familiäre System bei Schwerbetroffenen so zerrüttet ist und der Leidensdruck so hoch ist wie bei Long Covid. Das klingt komisch für jemanden, der sich sonst hauptberuflich mit angeborenen schweren Herzfehlern beschäftigt oder auch auf einer Krebsstation gearbeitet hat. Im Gegensatz zu anderen Erkrankungen, bei denen Diagnose, Prognose und Behandlungsmöglichkeiten eindeutig definiert sind, fehlt es bei Long Covid oft an klaren Antworten und Lösungen. Diese Unsicherheit und der Zweifel lässt die Erkrankten und deren Angehörige nie zur Ruhe kommen und verschlechtert die Situation zusätzlich.