Philipp ist ein sportlicher, agiler Junge. Er spielt Fußball und Basketball im Verein, lernt Gitarre spielen. Er besucht die Grundschule, ist beliebt bei seinen Mitschülerinnen und Mitschülern und wird sogar zum Klassensprecher gewählt. Doch dann infiziert er sich im Alter von sieben Jahren im Oktober 2021 zum ersten Mal mit dem SARS-CoV-2 Coronavirus. “Philipp hatte einen milden Verlauf, ein bisschen Husten und Schnupfen”, erinnert sich Kristina B. Nach der Infektion klagt er über Bauchschmerzen, später kommen Beinschmerzen hinzu. Die Kinderärztin kann nichts feststellen.

Ein halbes Jahr später erkrankt Philipp erneut an Corona. Dieses Mal hat der Junge zwei Tage Fieber. “Nach der zweiten Infektion kam die Abgeschlagenheit hinzu. Mal ging es Philipp eine Woche lang richtig gut, dann hatten wir wieder Tage und Wochen, als er kaum aus dem Bett gekommen ist”, erklärt die Mutter.

Die Familie ist immer häufiger bei der Kinderärztin. Eine Vertretungsärztin spricht erstmals an, dass Philipps Symptome ein Anzeichen für Long- bzw. Post-Covid sein könnten. “Der Begriff “Long Covid” bezeichnet längerfristige gesundheitliche Beeinträchtigungen im Anschluss an eine Corona-Infektion, die über die akute Krankheitsphase von vier Wochen hinaus anhalten”, erläutert Dr. Daniel Vilser, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des AMEOS Klinikums St. Elisabeth Neuburg. “Vom Post-Covid-Zustand spricht man, wenn Beschwerden mindestens 12 Wochen und länger nach der akuten Infektion entweder noch vorhanden sind oder nach diesem Zeitraum neu auftreten und nicht anderweitig erklärt werden können.”

Philipp baut immer weiter ab 

Weil sich Philipps Zustand immer weiter verschlechtert, schlägt die Vertretungsärztin 2022 eine Reha für Post-Covid-Betroffene vor. Philipp reist mit seinen Eltern und seinem älteren Bruder für vier Wochen in eine spezielle Einrichtung nach Geesthacht. Dort hört die Familie zum ersten Mal vom Pacing. “Pacing ist ein therapeutisches Konzept für das Chronische Fatigue-Syndrom, aber auch bei Long-Covid. Ziel ist, stets unterhalb der individuellen emotionalen, körperlichen und psychischen Belastungsgrenze zu bleiben. Überschreiten Betroffene diese, verschlechtern sich die Symptome wie schwere Erschöpfung (Fatigue), Muskelschmerzen und neurokognitive Probleme (Post-Exertional-Malaise) oft dramatisch”, erklärt Dr. Daniel Vilser.

Philipp kehrt im Rollstuhl aus der Reha zurück. Nicht etwa, weil er nicht mehr laufen kann, sondern weil er weiß, dass er schonend mit seinen vorhandenen Ressourcen umgehen muss. Ab sofort hat der Junge eine Schulbegleitung, die ihm ermöglicht, zwei Stunden pro Tag in die Schule zu gehen.

Anzeige beim Jugendamt

Die Situation – sie ist belastend für alle Familienmitglieder. Neben Philipp gibt es noch seinen älteren Bruder Laurenz, der als Autist im Alltag viel Unterstützung durch seine Eltern braucht. Als sich dann auch noch das Jugendamt einschaltet, weil es eine Anzeige nach §8a SGB VIII erhalten hat, zieht es der Familie den Boden unter den Füßen weg. “Wir sahen uns plötzlich mit dem Vorwurf konfrontiert, dass wir Philipp nicht richtig ernähren, dass ich ihn krank mache”, sagt die Mutter. Diese Erfahrung hat etwas mit der Familie gemacht. “Wir haben eineinhalb Jahre dafür gekämpft, dass Philipp zuhause betreut werden darf. Wir hätten uns Unterstützung gewünscht, nicht noch zusätzliche emotionale Belastung.”

Heute ist Philipp zehn Jahre alt. An guten Tagen ist er für vier Mal maximal eine Stunde unten bei der Familie, an schlechten bleibt er im abgedunkelten Zimmer. “Mittlerweile haben wir seine Schmerzen durch das Pacing ganz gut im Griff. Allerdings ist Philipp extrem vergesslich, sowohl sein Kurz- als auch sein Langzeitgedächtnis sind betroffen. Er vergisst, dass er Hunger oder Durst hat, er vergisst, auf die Toilette zu gehen”.

Ungewisse Zukunft

Drei Mal pro Woche kommt ein Lehrer zur Familie nach Hause – Philipp paukt mit ihm Mathe und Deutsch. In der Schule war er zuletzt im Oktober 2023. Sogenannte Crashs, die immer dann auftreten, wenn Philipp über seine eigenen Grenzen geht, verschlechtern die Situation nachhaltig. “Philipp konnte sich in der Vergangenheit problemlos Socken alleine anziehen. Nach jedem Crash müssen wir das mühsam neu erlernen. Vieles, von dem, was er konnte, kann er heute nicht mehr, Gitarre spielen zum Beispiel.”

ELISA Familiennachsorge unterstützt die Familie, die sich von Außenstehenden vor allem eins wünscht: Verständnis, “auch wenn man Philipp seine Leidensgeschichte nicht auf den ersten Blick ansieht.” Eine ehrenamtliche Familienbegleiterin besucht die Familie regelmäßig zuhause, spielt mit Philipp und seinem Bruder, entlastet die Mutter und unterstützt den Vater bei Fahrdiensten. Durch ELISA hat die Familie die Möglichkeit, in Kontakt mit anderen pflegenden Angehörigen zu kommen und sich über Alltagsfragen auszutauschen. “Das ist für uns unheimlich wertvoll”, so die Mutter.