Alle 4,4 Sekunden stirbt laut Schätzungen der Vereinten Nationen irgendwo auf der Welt ein Kind oder Jugendlicher. Manchmal kommt der Tod ganz plötzlich, manchmal ist es eine lange Zeit des Abschiednehmens. Aber immer ist der Schmerz der Eltern unermesslich. Wir haben anlässlich des Totensonntags mit den Eltern eines verstorbenen Kindes und unserer Expertin Simone Haftel darüber gesprochen, wie man trauernden Menschen richtig begegnet.

Max aus Weichering ist fünf Jahre alt, als er wegen einer erblichen Erkrankung des Nervensystems stirbt und seine Eltern zu verwaisten Eltern macht. Seine Eltern gehen ganz offen mit dem Tod ihres einzigen Kindes um. „Wir sprechen viel über Max und seine letzten Stunden. Das hilft auch uns bei
der Verarbeitung.“ Gleichzeitig merken die Beiden, dass es im Familien- und Freundeskreis oftmals eine große Unsicherheit gibt. „Viele Menschen wissen nicht, wie sie mit uns umgehen sollen“, so Jeannine Wehran. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es für uns schmerzhafter ist, wenn die
Menschen uns aus dem Weg gehen oder vermeiden über Max zu sprechen.“

Da sein, ein offenes Ohr haben, zuhören – all das könne unwahrscheinlich helfen. „Geholfen haben uns Gespräche mit lieben Menschen, die einfach wussten, wann es Zeit ist zu reden, wann sie einfach nur zuhören mussten und wann sie uns besser in Ruhe lassen sollten“, erklärt Max Papa Nico
Junghans. „Auch ein halbes Jahr nach Max Tod freuen wir uns noch immer sehr darüber, wenn uns Freunde, Bekannte oder Verwandte Fotos von Max schicken oder uns Anekdoten über ihn erzählen. Das zeigt uns, dass Max in der Erinnerung weiterlebt.“ Aber auch praktische Hilfen im Alltag sind von
unschätzbarem Wert. „Uns hat sehr geholfen, wenn uns Freunde einfach ungefragt etwas zu Essen vorbeigebracht haben.“ Wenig hilfreich seien hingegen Kommentare wie „Ihr seid ja jung, ihr könnt ja noch ein Kind bekommen“ oder „Für Max war es besser so“. „Sowas tut einfach nur weh. Wir
werden an Max denken und ihn vermissen, solange wir leben“.

Simone Haftel und Nadine Kotzur von der gemeinnützigen Organisation ELISA Familiennachsorge, die Max und seine Familie gemeinsam mit ihren Kollegen bis zu dessen Tod betreut hat, wissen, dass solche Aussagen oftmals eigentlich trösten sollen. „Für das Umfeld ist das Gefühl, nichts tun zu
können, manchmal sehr schwer auszuhalten.“ Deshalb wirbt Simone Haftel, die bei ELISA gemeinsam mit ihrer Kollegin Nadine Kotzur eine
Trauergruppe für verwaiste Eltern leitet, um Verständnis für beide Seiten. „Trauernde müssen immer wieder damit zurechtkommen, dass manche Menschen nicht mehr grüßen. Dies liegt oftmals an der Unsicherheit, wie man Trauernden gut begegnen kann.“

Umgekehrt weiß Haftel aber auch, welche Worte und Taten im Leben eines trauernden Menschen einen Unterschied machen können. „Unmittelbar nach dem Tod des geliebten Menschen ermutige ich jeden dazu, die eigene Sprachlosigkeit im Umgang mit dem Trauernden konkret zu benennen.
Eben zu sagen, ich weiß jetzt nicht, was ich sagen soll, wie ich dir begegnen soll, was du jetzt brauchst. Daraus kann ein Gespräch entstehen, das ist ein guter Beginn.“ Von einem „Melde dich, wenn du mich brauchst“ oder einem „Ich bin immer für dich da“ rät Simone Haftel übrigens ab, denn:
„Man ist nicht immer da, das ist eine leere Versprechung. Und es kommt eher selten vor, dass ein Mensch, der gerade in tiefer Trauer versunken ist, sich meldet und um Hilfe bittet.“ Besser wäre es konkrete Hilfsangebote zu machen und dabei Zeitfenster zu nennen. „Ich gehe Donnerstag
einkaufen. Soll ich dir etwas mitbringen oder dich mitnehmen? Ich rufe dich diesbezüglich am Mittwoch nochmal an.“

Ein Trauerprozess verläuft nicht linear – er zeigt sich in verschiedenen Facetten und folgt keinem zeitlichen Ablauf. Deshalb brauchen Trauernde laut Simone Haftel Menschen, die sie auf ihrem individuellen Weg begleiten, auch wenn sie selbst bereits in ihr altes Leben zurückgekehrt sind. Verwaiste Eltern können dies nicht, denn ihr altes Leben existiert nicht mehr. Umso wichtiger sei es, dass sich Freunde und Verwandte regelmäßig melden – auch wenn sie zwischenzeitlich mal keine Reaktion erhalten.

Manche Trauernde sehnen sich nach Normalität, wenn sie das Haus für Einkaufe verlassen oder auch um zur Arbeit zu gehen. Werden Trauernde dann gefragt, wie es ihnen ginge, ist mit unterschiedlichen Antworten zu rechnen. So kann ein „es geht schon“ bedeuten, dass vielleicht momentan gerade nicht der richtige Zeitpunkt ist, um ausführlich über das Geschehene zu sprechen. Hier gilt es hinzuhören und zu spüren, wie der Gesprächspartner reagiert. Wem das schwer fällt, sollte auch dies offen ansprechen und den trauernden Menschen fragen, was ihm gerade guttut und
dementsprechend agieren.

„Trauern ist die Lösung und nicht das Problem“ – unter diesem Motto von Chris Paul bietet ELISA ab Februar 2023 wieder eine geschlossenen Trauergruppe für verwaiste Eltern an. Anmeldungen sind ab sofort bei Simone Haftel unter 0176 – 70 76 91 53 oder Nadine Kotzur unter 0160- 96817223 möglich.