Hinter Thaleas Familie liegen harte Monate: Erst hatte die 13-Jährige Corona, danach folgten noch eine Lungenentzündung, Nierenversagen, Thrombose am Herzen sowie eine Blutvergiftung und eine Entzündung des Gehirns. Die Akkus der Familie, sie sind leer. Ein Urlaub bringt Thaleas Eltern zwar keine Erholung, aber verschafft ihrer von Geburt an schwerkranken Tochter Linderung – und Thaleas Schwestern ein Stück Normalität. Deshalb startet die fünfköpfige Familie in den Sommerferien Richtung Norden. Die Reise bringt so manche Hürde mit sich…

Der Alltag von Familie Walter aus Beilngries ist eng getaktet, wenig kann dem Zufall überlassen werden. Die fünfköpfige Familie hat ihr eigenes System entwickelt, um diesen Alltag bewältigen zu können. Im Mittelpunkt aller Überlegungen: Die 13-jährige Tochter Thalea, die mit einer schwerwiegenden Hirnblutung zur Welt kam. Sie muss rund um die Uhr überwacht und betreut werden. Thaleas Mutter Christina arbeitet an zwei Tagen die Woche, unter anderem um ihrer ältesten Tochter Annabell das nachträgliche Abitur auf der Abendschule zu ermöglichen. Wenn Christina montags in die Arbeit fährt, ist Papa Maik bei Thalea – er muss dafür dann aber samstags arbeiten. Freitags geben sich Tochter Annabell, die eine Ausbildung zur Systemplanerin bei Max Bögl macht, und Mama Christina die Klinke in die Hand. Diese Arbeitsteilung ist notwendig, weil die Familie aktuell keinen Pflegedienst hat. Dies bedeutet im Umkehrschluss auch, dass Thalea nicht in die Schule gehen darf. Es findet sich niemand, der Thalea nur stundenweise betreuen würde. „Pflegedienste, die eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung übernehmen würden, gäbe es genug. Aber die brauchen wir zum Glück noch nicht – und wir bekommen sie auch nicht von der Krankenkasse bezahlt“, erklärt Christina Walter das Dilemma.

Unterstützung im Alltag bekommt die Familie durch den Verein ELISA Familiennachsorge, der in der Region 10 Familien mit schwerst-, chronisch- und krebskranken Kindern begleitet. „Unser Palliativ-Team PalliKids nimmt sich ganz bewusst Zeit für die Familie Walter“, erklärt Simone Haftel, stellvertretende Geschäftsführung von ELISA. „Denn Zeit ist in Familien mit schwerkranken Kindern eine knappe Ressource. Deshalb versuchen wir alles abzuwenden, was die Familie unnötig Zeit kostet: Das können sozialrechtliche Themen wie das Formulieren von Widersprüchen gegenüber
Kostenträgern sein, die aufwendige Suche nach Hilfsmittelversorgern bei neu auftretenden Krankheitssymptomen oder aber ein runder Tisch zum Thema Schulbesuch.“ Auch die Ärzte vom PalliKids-Team, die für ELISA tätig sind, bringen viel Zeit mit, wenn sie die Familie in Beilngries besuchen. „Da werden die Arztbriefe aus der Münchner Klinik gemeinsam gelesen und Befunde, die ja oft im Fachjargon formuliert sind, so übersetzt, dass ein Jeder sie verstehen kann“. Und mit Claudia Forster hat ELISA der Familie einen Familienbegleiterin zur Seite gestellt, die zum Beispiel auf eine Tasse Kaffee bei den Walters vorbeischaut und ihnen dabei die Möglichkeit gibt, sich Probleme von der Seele zu reden. Oder die mit Xenia mal ein Eis essen geht.

Nichtsdestotrotz: Der Alltag – er ist anstrengend. Seit Jahren hat Christina Walter keine Nacht mehr durchgeschlafen. Thalea hat Atemaussetzer, Sättigungsabfälle, Krampfanfälle. Die Anfälle, sie kommen aus dem Nichts. Immer und immer wieder. Das Babyphone, das Thaleas Vitalwerte übermittelt, ist Christinas ständiger Begleiter. Neben Thalea gibt es aber auch noch die 18-jährige Annabell und die zehnjährige Xenia. Beide haben sich mit dem Alltag, den Thalea durch ihre schwere Krankheit unfreiwillig bestimmt, arrangiert. „Im Alltag haben Annabell und Xenia leider oft das
Nachsehen – sei es in der gemeinsamen Zeit mit meinem Mann und mir oder auch in Hinblick auf ihre Sorgen und Nöte. Das hat nichts, aber auch gar nichts, mit fehlender elterlicher Liebe zu tun“, stellt Christina Walter klar. „Es ist schlichtundergreifend der Situation geschuldet.“ Auch hier unterstützt der Verein ELISA Familiennachsorge die Familie. Xenia zum Beispiel nimmt öfters an den Angeboten für Geschwisterkinder teil. Sie geht mit anderen Kindern, die auch einen kranken Bruder oder eine kranke Schwester zuhause haben, klettern, Kanu fahren, schnitzt zu Halloween Kürbisse oder taucht beim Rittertag in eine andere Welt ein. „Ich bin froh und dankbar über dieses Angebot von ELISA. Dadurch kann ich Annabell und Xenia unbeschwerte Momente und ein Stück Normalität schenken“, so Christina Walter´. Das gibt zumindest kurzzeitig Kraft. Denn der kräftezehrende Alltag kennt weder Feiertag, noch Feierabend, noch Pause.

Umso wichtiger ist der gemeinsame Urlaub für die Familie – auch, wenn er den Eltern schon bei der Planung einiges abverlangt. „Wenn wir in den Urlaub fahren, halten wir uns ausschließlich in Deutschland auf“, erklärt Thaleas Mutter. Thalea bekommt die Seeluft, deshalb fährt die Familie regelmäßig an die Ostsee. „Sie blüht an der Ostsee immer total auf. Das gibt uns allen Kraft für den Alltag, der nach dem Urlaub zuhause auf uns wartet“, so die 41-Jährige weiter. Um ihren Urlaub zu planen, kann Familie Walter nicht einfach ins Reisebüro. Die Familie recherchiert, wenn Thalea schläft, viele Stunden vor dem Computer und am Telefon nach einer passenden Unterkunft. „Wir brauchen eine Ferienwohnung oder ein -Haus, das ebenerdig ist. Die Türen müssen breit genug sein, damit wir Thalea mit dem Rollstuhl durchschieben können. Eine Dusche ist wünschenswert, weil wir Thalea aus der Badewanne mittlerweile selbst zu dritt nur noch schwer herausheben können.“ Die 13-Jährige ist auf Sauerstoff angewiesen, dieser muss an den Ferienort geliefert werden können. Ist die Unterkunft gebucht, geht es ans Packen. Hier muss sich Mama Christina unfassbar konzentrieren. Eine vergessene Spritze oder ein Medikament, das im Urlaub leer wird, kann folgenschwere Konsequenzen haben. Dieses Jahr fährt die Familie zum ersten Mal für zwei Wochen in den Urlaub. „Wir sind eine Woche an der Ostsee, damit wir Thalea Linderung verschaffen können. Die zweite Woche möchten Annabell und Xenia am Dümmer See verbringen. Diesen Wunsch wollen wir ihnen sehr gerne erfüllen.“ Doch bevor die Mädels ihre Zehen in den Sand stecken können, liegt noch eine weite Autofahrt vor ihnen. Dank eines speziellen Gurtsystems kann Thalea im Bus sitzen. Regelmäßige Pausen braucht sie dennoch. Schon allein, weil Inkontinenz ein großes Thema ist und Thalea deshalb regelmäßig gewickelt werden muss. Doch da tut sich das nächste Problem auf: „Unterwegs gibt es selten eine Wickelmöglichkeit für Thalea. Ihr Zustand lässt es nicht zu, dass wir sie im Stehen wickeln. Liegemöglichkeiten gibt es aber fast an keinem Rastplatz. Wir müssen also zwangsläufig immer im Bus wickeln. Das bedeutet, dass wir das Gepäck aus- und anschließend wieder einladen müssen.“ Unterwegs mal eben in einem Restaurant zu Mittag essen – auch das funktioniert nicht. Familie Walter muss auch im Urlaub selbst den Kochlöffel schwingen, weil Thalea wegen der Epilepsie eine ketogene Diät einhalten muss.

Vor drei Jahren hatte Familie Walter das große Glück, dass eine Pflegekraft mit in den Urlaub gefahren ist. „Das war ein ganz anderes Gefühl. Wir hatten vor Ort tatsächlich die Möglichkeit mit Xenia und Annabell mal auswärts essen gehen zu können und Exklusivzeit mit ihnen zu verbringen“, erinnert sich Christina Walter. Thalea schläft vormittags zwei Stunden. Ist Familie Walter ohne Pflegekraft im Urlaub, bedeutet das, dass die Familie in dieser Zeit entweder getrennt oder gar nicht unterwegs ist. Nimmt die Familie allerdings eine Pflegekraft mit in den Urlaub, müssen sie sich um
eine zusätzliche Unterkunft kümmern. Die Kosten für die extra Unterkunft muss die Familie laut eigener Aussage selbst tragen.

Angst, dass unterwegs etwas passiert, haben die Eltern übrigens nicht. „Thalea war noch nie anfallsfrei. Wir sind immer auf einen Notfall eingestellt, haben unsere eigenen kleine Intensivstation immer und überall dabei“. Die Angst, dass vor dem Start in den Urlaub etwas passiert, die ist groß. „Wir sichern unsere Urlaube ab. Was wir aber nicht absichern können, ist die Vorfreude der Kinder. Wird Thalea vor dem Urlaub krank, zerplatzt die Vorfreude von Xenia und Annabell wie Seifenblasen. Das hatten wir leider nicht nur einmal“, erklärt Christina Walter.

Natürlich könnte Familie Walter auch Urlaub im Hospiz machen, hat sie in der Vergangenheit auch schon gemacht. Für Xenia und Annabell wünschen sich die Walters aber auch einfach mal eine Auszeit, ein Tapetenwechsel, einen Ausbruch aus einem Alltag, der bereits in jungen Jahren geprägt ist von 24-Stunden-Pflege, Sorgen und Entbehrungen. Deshalb nimmt die Familie aus Beilngries vieles in Kauf, um zur Ostsee und an den Dümmer See zu fahren. Aber: „Wir machen das gerne für Xenia und Annabell. Denn auch sie haben nur diese eine Kindheit. Unser Leben wird, solange Thalea lebt, nie unbeschwert sein können. Umso wichtiger ist es uns, dass wir für Annabell und Xenia Momente des Glücks schaffen, an die sie sich gern zurückerinnern“, sagt Christina Walter und widmet sich wieder der Packliste, die kein Ende zu nehmen scheint.

Gemeinsam mit dem Verein ELISA Familiennachsorge ist Annabell in ihrer Freizeit auf der Suche nach Gleichgesinnten: „Ich bin mir sicher: Irgendwo da draußen gibt es Seelenverwandte, Jugendliche und junge Erwachsene, die zuhause das gleiche Schicksal haben. Mit diesen Jugendlichen würde ich gerne gemeinsam mit ELISA die Geschwister-Jugendlichen, kurz GeJu, gründen. Unser Ziel ist der Austausch untereinander, das Wissen, dass es jemanden gibt, der mich im Zweifel auch wortlos versteht“, erklärt Annabell. Interessierte Jugendliche, die selbst einen kranken Bruder oder eine kranke Schwester zuhause haben, können sich gerne melden unter geki@elisa-familiennachsorge.de